Wie ich Opas Pflaumenbaum bestieg

Ich war gerade elf geworden, als wir an einem Wochenende im Oktober mal wieder bei meinen Großeltern zu Besuch waren. Ich liebte sie sehr. Mein Vater war nie sehr begeistert, weil er wusste, dass er meinem Opa wieder bei irgendwelchen Arbeiten am Haus oder im Garten zur Hand gehen sollte. Dies sei der Grund, warum er in einer Stadtwohnung lebe, sagte er jedes Mal mürrisch, wenn wir uns auf den Weg machten. Mittlerweile glaube ich, er konnte es meinem Großvater, der einen soliden Beruf als Tischler ausgeübt hatte und sehr bodenständig war, nie recht machen. Deswegen hat er sich in seine Bücher verkrochen und ist Professor für Germanistik geworden.

An diesem Wochenende wollten wir im Garten die Beete umgraben. Ich mochte es draußen zu sein. Mit zunehmenden Alter konnte ich den beiden auch mehr und mehr zur Hand gehen. Mein Opa fragte mich, wie es in der Schule lief. Ich sagte: „Ganz gut. Nur diese Fächer wie Ethik oder Kunst finde ich total langweilig. Was interessiert mich, was einer glaubt.“ Er stutzte und fragte mich woran ich denn glauben würde. „Ich weiß nicht.“, antwortete ich. „Papa sagt immer. Wir werden geboren, wir leben und wir sterben. Nicht mehr und nicht weniger. Davor und danach gibt’s nichts.“ Die Miene meines Großvaters verfinsterte sich und er sah meinen Vater an, der gerade die Spaten aus dem Geräteschuppen holen ging. Er seufzte, „Nun, dein Vater ist ein sehr schlauer Mann. Doch ich glaube ab und zu sollte er mal seine Bücher weglegen und die Augen aufmachen.“ „Das verstehe ich nicht.“ , antwortete ich.
Großvaters Gesichtsausdruck wurde nun wieder heller und seine Augen blinzelten vergnügt. „Wollen wir ein kleines Experiment machen?“ Ein Experiment, wie aufregend! Ich willigte ein.

Er nahm mich mit zu dem Pflaumenbaum, der gleich neben dem Schuppen stand. Er war groß und alt und im Sommer hatte er viele Früchte getragen. Leider war ich noch zu klein, um dort hinauf zu klettern. Also musste ich immer die Heruntergefallenen aufsammeln.
Großvater sprach nun mit lauter Stimme: „Ich glaube wir müssen hier und da einmal ein paar Äste absägen. Der Baum wächst sonst in Müllers Garten und dann beschweren die sich wieder. Ich bin langsam zu alt, um dort hoch zu klettern und dein Vater soll das Kartoffelbeet umgraben. Du bist nun groß genug, klettere du hoch und ich sage dir, wo du sägen sollst.“
Ein Schreck fuhr mir durch die Glieder. Ich, auf den großen Baum? Ich ging um ihn herum, fand aber keine geeignete Stelle, an der ich mich hochziehen konnte. Die Äste, die ich erreichte, waren zu dünn. Plötzlich kam mein Vater angerauscht. „Was macht ihr hier? Mein Sohn klettert nirgendwo hoch. Schon gar nicht mit einer Säge. Das ist viel zu gefährlich. Wenn er runter fällt ist die Verletzungsgefahr zu groß. Vater was soll das?“

Großvater blieb ruhig, „Ich denke dein Sohn ist alt genug. Hole du mal die Säge ausm Schuppen und ich helfe ihm. Wenn er runterfällt fange ich ihn auf.“ Oh, mein Vater wurde immer wütender: „Das schafft er aber nicht! Und du. Du kannst ihn niemals auffangen. Du kannst ja nicht mal deine Beete umgraben. Dafür ist Daniel zu schwer. Ich mach die Äste ab.“ „Das wirst du nicht tun. Halt den Mund! Hol jetzt die Säge und vertrau mir. Ich weiß, was ich tue“ , entgegnete mein Opa mit fester Stimme, so dass sich Vater eingeschüchtert auf den Weg zum Schuppen machte. Ich war beeindruckt und stolz, dass er mir die Möglichkeit gab, die Äste abzusägen. Nur gab es immer noch das Problem, dass ich nicht wusste wie ich dort hochkam. Fragend schaute ich den alten Mann an. Für mich war er in diesem Moment bärenstark und weise. Er sagte: „Komm her Junge. Steig zuerst auf diesen kleinen Ast. Er wird dich aushalten. Das weiß ich. Dann kommst du bequem an den dicken ran. An dem kannst du dich hoch ziehen. Ich werde aufpassen. Es kann dir nichts passieren. Probiere es einfach aus.“ Ich tat was er sagte. Denn mein Opa hatte immer recht. Der Ast war sehr wackelig und knackte. Ich hatte wirklich Angst, doch da ich nichts zu befürchten hatte, versuchte ich nach den dicken Ast zu greifen. Mit viel Mühe schaffte ich es schließlich und zog mich hoch. Ich war so stolz. „Ich bin oben!“ Großvater applaudierte. „Daniel ist der Größte“ rief er. Ich sah in die besorgten Augen meines Vaters, der kein bisschen stolz auf mich zu sein schien. „Sieh nur dein Sohn ist auf dem Pflaumenbaum.“ „Ja das sehe ich. Aber das Risiko, dass er sich verletzt ist viel zu hoch. Wie soll er denn mit der Säge rumhantieren? Er kann sich doch kaum selber halten.“ Ich turnte und tanzte auf meinem Ast herum. Plötzlich verlor ich das Gleichgewicht. „Ahh..“ plumps.
Ich wurde aufgefangen. Als ich die Augen öffnete sah ich aber nicht meinen Opa, sondern meinen Vater. Er hat blitzschnell reagiert, während der Alte daneben stand. Nun lagen wir beide im Gras. Es war ein unbeschreiblich gutes Gefühl.

Als ich mich wieder gesammelt habe, blickte mein Vater wütend und gleichzeitig triumphierend in die Augen seines Vaters. „Siehst du. Wie konntest du so leichtsinnig sein! Den Jungen dann auch noch eine Säge in die Hand drücken zu wollen. Du spinnst! Ich glaube du wirst langsam senil!“ Doch der Alte lächelte und sagte: „Dein Sohn hat mir geglaubt, dass ich ihn halten kann, wenn er fällt. Doch du hast ihn aufgefangen. So wie es sein soll. Nun wird er an dich glauben. Ohne dabei auch nur ein Buch über die psychologische Beziehung zwischen Vater und Sohn gelesen zu haben.“ Dann beugte er sich zu mir, nahm mich in den Arm und sagte: „ Siehst du, du hast mir geglaubt. Das hat dir Kraft und Mut gegeben, auf den Baum zu klettern. Denn du hast Vertrauen gehabt und so konntest du dich auf das, was du tust, konzentrieren. Letztendlich bist du aufgefangen worden. Es ist im Grund völlig egal woran du glaubst, solange es gut ist. Wichtig ist dass du an etwas glaubst, was dich trägt. Außerdem ist es sehr interessant, die religiösen und ideologischen Schriften zu studieren. Es wird dich auf jeden Fall klüger machen.“
Wir sahen uns an und in diesem Moment waren alle Konflikte zwischen uns wie weggeblasen und wir waren einfach froh zusammen zu sein. „Komm bring die Säge weg. Der Junge sollte sie eh niemals benutzen. Ich wollte dir nur etwas Angst einjagen.“, grinste Großvater seinen Sohn an. Wir nahmen die Spaten und legte nun mit unserer eigentlichen Arbeit los.

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