Europa: Amnesty-Jahresbericht kritisiert Einschränkung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit

amnesty logoBERLIN, 15.04.2020 – In vielen Ländern Europas und Zentralasiens werden grundlegende Rechte zunehmend eingeschränkt. Die Corona-Pandemie droht diese Entwicklung zu beschleunigen. Im Jahresbericht 2019 blickt Amnesty International auf die Lage der Menschenrechte in der Region.

Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sind in Europa und Zentralasien im letzten Jahr weiter unter Druck geraten: Regierungen haben versucht, die Unabhängigkeit der Justiz auszuhöhlen und rechtsstaatliche Prinzipien auszuhebeln. In der Migrations- und Flüchtlingspolitik haben die europäischen Mitgliedsstaaten den Schutz von Menschenleben weiter der Abschottung von Grenzen untergeordnet. Die Meinungsfreiheit und das Recht auf friedlichen Protest wurden in vielen Staaten beschnitten.

Dies sind einige der zunehmenden Einschränkungen der Menschenrechte, die Amnesty International im heute veröffentlichten Jahresbericht zur Menschenrechtslage 2019 in Europa und Zentralasien dokumentiert. 

Die aktuelle Corona-Krise verschärft diese Trends. In ganz Europa ergreifen Regierungen derzeit Notfallmaßnahmen im Kampf gegen das Corona-Virus. Viele davon sind zum Schutz der öffentlichen Gesundheit notwendig. Doch einige Regierungen nutzen die Pandemie zur Aushöhlung von Rechtsstaatlichkeit, zur Diskriminierung, Repression oder Zensur. Und oftmals gehören generell ausgegrenzte und benachteiligte Gruppen nun zu den in der Corona-Krise vermehrt gefährdeten Menschen.

Einhaltung der Menschenrechte in Zeiten der Corona-Krise geboten

„Dem Schutz der Menschenrechte kommt gerade in Krisen wie einer globalen Pandemie besondere Bedeutung zu. Übermäßig gefährdete Menschen wie Obdachlose oder Asylsuchende müssen ebenso geschützt werden wie grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien geachtet“, fordert Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. „Es ist die Stärke von freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaaten, dass sie niemand in der Not zurücklassen und dass sie gerade in Krisenzeiten die Grund- und Freiheitsrechte aller achten und schützen. Darauf wollen und müssen ihre Bürgerinnen und Bürger sich verlassen können. Regierungen haben sicherzustellen, dass ihre Maßnahmen mit internationalen und regionalen Menschenrechtsabkommen im Einklang stehen.“

Amnesty International hatte jüngst menschenrechtliche Handlungsempfehlungen für europäische Regierungen in der Pandemie-Bekämpfung veröffentlicht.

Politische Einflussnahme auf Justiz wächst

Der Jahresbericht dokumentiert, wie die Unabhängigkeit der Justiz im letzten Jahr in vielen Ländern unterwandert wurde. In Polen versuchte die Regierungspartei, Gerichte stärker unter ihre Kontrolle zu bringen. Richterinnen und Staatsanwälte, die sich für die Unabhängigkeit der Gerichte einsetzten, waren Disziplinarverfahren und Hetzkampagnen ausgesetzt. „Unabhängige Gerichte und Gewaltenteilung sind für die Verteidigung der Menschenrechte unabdingbar“, erinnert Beeko.

Auch in Ungarn gerieten Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Gerichte 2019 zunehmend unter Druck. Zuletzt nutzte die Orbán-Regierung die Corona-Pandemie offenbar als Vorwand, um ihren Angriff auf Menschenrechte und Rechtsstaat fortzusetzen und sich unbegrenzte Macht zu verschaffen. Durch ein neues Gesetz kann die Regierung auf unbestimmte Zeit per Dekret regieren. „Ein unbefristeter Ausnahmezustand ohne jegliche rechtsstaatliche Kontrolle ist nicht die Antwort auf die Corona-Krise“, kritisiert Beeko. „Es ist ein Prüfstein für die Europäische Union, wie sie den zunehmenden Angriffen einzelner Regierungen auf die Rechtsstaatlichkeit wirksam entgegentritt. Die aktuelle Instrumentalisierung der Pandemie offenbart, wie wenig ihr das bislang gelungen ist.“

Auch in der Türkei steht die Justiz weiter unter enormem politischem Druck. „Türkische Gerichte sind in zahlreichen Fällen zum politischen Werkzeug geworden, um kritische Stimmen mundtot zu machen. Es ist bezeichnend für die anhaltende Willkür türkischer Behörden, dass die willkürlich inhaftierten Journalistinnen, Menschenrechtsverteidiger und Oppositionelle von den nun aufgrund der Corona-Krise beschlossenen Haftentlassungen ausgeschlossen sind und weiter in den Gefängnissen der Pandemie ausgesetzt werden“, so Beeko.

Migration und Flucht: Schutz menschlichen Lebens muss vor Migrationskontrolle stehen

Auch 2019 machten sich die europäischen Mitgliedsstaaten mitverantwortlich für Menschenrechtsverletzungen, indem sie die Kontrolle von EU-Außengrenzen anderen Ländern mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz überließen. Der international verbriefte Flüchtlingsschutz und der Schutz menschlichen Lebens wurden der Migrationskontrolle geopfert. So arbeitete die EU weiterhin mit Libyen zusammen, um Migranten und Asylsuchende dort festzuhalten, im Wissen um die systematischen Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Vergewaltigungen in den Haftlagern.

Die beispiellose Überbelegung der Flüchtlingslager auf den Ägäisinseln ist auch Folge der europäischen Kooperation mit der Türkei. Über 40.000 Menschen leben dort derzeit unter katastrophalen Bedingungen. „Wer Solidarität und die Achtung internationalen Rechts für sich reklamiert, kann nicht weiter zusehen, wie Menschen auf den griechischen Inseln durch die Pandemie akut bedroht sind. Die Evakuierung der Insellager ist überfällig, besonders Schutzbedürftige müssen rasch in Europa verteilt werden und die in Griechenland Verbleibenden müssen angemessen versorgt werden", mahnt Beeko.

Der sogenannte EU-Türkei-Deal von 2016 zur Abriegelung der griechisch-türkischen Grenze wurde aufrechterhalten. Dabei hat Amnesty International vor der türkischen Militäroffensive im Nordosten Syriens im Oktober 2019 recherchiert, dass Hunderte syrische Flüchtlinge seit Mai 2019 aus der Türkei nach Syrien abgeschoben wurden. Diese Abschiebungen wurden zu Unrecht als „freiwillige Rückkehr“ ausgegeben und verstoßen ganz klar gegen das Verbot der Nicht-Zurückweisung.

Amnesty International veröffentlicht am 16. April 2020 den zweiteiligen Jahresbericht zur Lage der Menschenrechte in Europa und Zentralasien. Die Berichte „Europa“ sowie „Osteuropa und Zentralasien“ dokumentieren wichtige Entwicklungen in zentralen Menschenrechtsthemen in 47 Ländern.

Quelle: www.amnesty.de

Diesen Beitrag teilen, das Unterstützt uns, DANKE !

FacebookVZJappyDeliciousMister WongXingTwitterLinkedInPinterestDiggGoogle Plus

weitere Beiträge

Event-Tipp

Talk & Sing mit Martin Schlüter und


240513 Talk und Sing v.l. Jean Odenthal   Christian Knock   Frank Engel v. RheinRoxy   Martin Schlüter Foto M.Schlüter honorarfreiKöln, 13 Mai 2024 - Das neue Format „Talk & Sing“ wurde von Christian Kock und Martin Schlüter im letzten Sommer ins Leben gerufen. Das Konzept orientiert sich am Stil von „Ina Müller“ und kombiniert Talkshow-Elemente mit Live-Musik sowie klassisc...


weiterlesen...

Rund 20.000 Raver feiern MAYDAY "united“


MAYDAY 2024 001 A9 1516 web35 Top-DJs auf vier Bühnen präsentierten 12 Stunden lang
Techno, Hardtechno, Hardcore, Hardstyle und Uptempo in
den Dortmunder Westfalenhallen

In der Nacht zum 1. Mai feierten rund 20.000 Fans der elektronischen Musikszene
gemeinsam und friedlich den...


weiterlesen...

Sido, Marsimoto oder Burna Boy – Das


summerjam lineup 08082024In weniger als zwei Monaten stehen in Köln wieder die Top-Artists aus den Genres Reggae, Dancehall und Hip Hop auf den Bühnen am Fühlinger See. Das Summerjam Festival 2024 trumpft auf mit dem Afrobeat-Weltstar Burna Boy – vor traumhafter Kulisse u...


weiterlesen...

Chatbot zur Europawahl 2024


bPb LogoChatbot beantwortet wichtige Fragen zur Europawahl und zur EU // Abrufbar ab 13. Mai 2024 auf www.bpb.de und via Telegram 

Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht am 13. Mai 2024 einen Chatbot zur Europawahl. Auf den Webseiten...


weiterlesen...

20.06.2024 Suchtpotenzial mit "Bällebad


suchtpotenzial1

10 Jahre Suchtpotenzial, das sind 10 Jahre "Titten, Tasten, Temperamente"!

Auf Tour mit der Deutschen Bahn, digitale Shitstorms und dazu noch Spliss, diese beiden Frauen haben wirklich einiges durchgemacht. 

Dennoch rocken die Musik-Comedy-Queens...


weiterlesen...

Atomwaffengegner will Friedensgebot und


antimilitaristischer Protest am Fliegerhorst Buchel 8.5.2023Weimar / Koblenz, 12.5.2024. Am 8. Mai 2023 protestierte eine Gruppe von sieben Aktivisten gewaltfrei gegen die zwanzig US-amerikanischen Atombomben, die auf dem Bundeswehr-Flugplatz Büchel / Eifel lagern. Die Gruppe spazierte durch das offene Bau...


weiterlesen...
@2022 lebeART / MC-proMedia
toTop