Paradiesisch so nah

Landrat 2019In der aktuellen Köln-InSight.TV-Reihe, „Paradiesisch so nah“, werden wir die Pfalz in den Focus rücken.

Die Pfalz ist eine Region, unweit Kölns, die atemberaubende Landschaft bietet, seit über 1000 Jahren Weinanbau betreibt und kulturelle Perlen besitzt, wie die Residenzstadt Kirchheimbolanden, dem Donnersbergkreis zugehörig, in der schon Mozart an der Schlossorgel spielte.

Im Folgenden berichtet der Landrat des Donnersbergkreises, Rainer Guth, über die Notwendigkeit sozialer Teilhabe in Ehrenamt und Sozialem Jahr, über erforderliche Weichenstellung in Ausbildung und Beruf und vor allem, über die Unzulänglichkeit von parteienbesetzter Engstirnigkeit. 

Katja Zundel von Köln-InSight.TV im Gespräch mit Landrat Rainer Guth, Kreis Donnersberg, Nordpfalz

Vielen Dank, Herr Guth, dass Sie sich Zeit für uns nehmen!

Mögen Sie uns etwas über Ihren biografischen Werdegang und über entscheidende Prägungen berichten, die Sie in Ihrer politischen Entwicklung maßgeblich beeinflussten?

Nach dem Abitur 1989 und Wehrdienst, während dem die Wiedervereinigung Deutschlands stattfand, habe ich Forstwirtschaft und anschließend, bereits berufsbegleitend, Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Über 21 Jahre war ich in der Holz- und Papierindustrie beschäftigt, zuletzt als Prokurist für Bioenergie, Bioökonomie und Holzeinkauf eines Global Players. Ich bin verheiratet, wir haben zwei „Pubertiere“ die dem Ende ihrer Schullaufbahn entgegensehen. Meine Frau ist niedergelassene Medizinerin und Gesundheitsökonomin.

Politisch geprägt haben mich die Wiedervereinigung und Ihre ökonomischen und sozialen Folgen, mein Engagement als Studentensprecher einer Hochschule, der in dieser Zeit die Schließung drohte, aber inzwischen zu den Vorzeige-Hochschulen in BaWü zählt, die dynamische Entwicklung Europas in den 1990er und 2000er Jahren und schließlich auch der zunehmende Nationalismus und der zunehmende Fremdenhass und Populismus. Als in dessen Folge dann die AfD auf die politische Bühne kam, habe ich entschlossen, meinen Hut in den Ring zu werfen. Bis dahin hatte ich kein kommunalpolitisches Mandat, war aber ehrenamtlich stark engagiert. In meiner Orientierungsphase, wo ich politisch am besten wirken könnte, boten die bei uns in 2017 anstehende Landratswahl und die kommunalpolitischen Rahmenbedingungen, die Chance, als parteiloser Kandidat, nominiert von CDU und FWG anzutreten. Der Quereinstieg gelang und ich wurde bei drei Kandidaten im ersten Wahlgang von den hiesigen Bürger*innen gewählt.

Zukunftsbaum2Können Sie uns das hauptsächliche Aufgabenfeld eines Landrates beschreiben? Wie schauen Ihre persönlichen Maßstäbe für Ihr Amt aus?

Der Landrat ist Dienststellenleiter der Kreisverwaltung und repräsentiert den Landkreis nach innen und außen. Die Kreisverwaltung ist zugleich untere Landesbehörde und oberste Kommunalbehörde. Hier laufen die Belange des öffentlichen Lebens unseres Landkreises zusammen, von A wie Ausländerbehörde bis Z wie Zulassungsstelle, sind hier vielfältige Behörden und Servicestellen angesiedelt.

Dazu kommen vielfältige Funktionen in Aufsichts- und Verwaltungsräten, wie z.B. der Sparkasse, dem ÖPNV-Verbund, von Kulturstätten und Regionalplanungsgremien.

Der Landrat sitzt dem Kreistag und den meisten seiner Ausschüsse als politisches Gremium des Kreises vor.

Hieraus resultieren regelmäßige Personalthemen, strategische Weichenstellungen und, nicht immer einfache und populäre, Entscheidungen.

Meine Maßstäbe für meine Amtsführung? Eine große Behörde und die sie umgebenden Partnerorganisationen sind, vor allem anderen, geprägt von den Menschen, die darin arbeiten. Wir haben keine Maschinen, Anlagen und Patente mit denen wir umgehen, es sind immer Frauen, Männer und Diverse, mit denen wir vorangehen. Das erfordert fürs Gelingen Partizipation, Engagement, Innovations- und Veränderungsbereitschaft sowie Integrität. Das versuche ich selbst zu leben.

Daher sind mir die Beziehungen zu meinen Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen und Partnern wichtig und stehen im Mittelpunkt meines Handelns. Auf dieser Basis gehe ich dann die anstehenden Herausforderungen möglichst sachorientiert an. Als parteiloser Landrat habe ich überhaupt kein Verständnis für parteiliche Lagerbildungen. Wir haben viel zu viele Aufgaben, die guter Entscheidungen bedürfen, als dass wir Kapazitäten darauf abstellen dürfen, sachliche Erfordernisse vom Farbenspiel der Politik beeinflussen zu lassen.

RS plus WWWo wünschen Sie in fünf Jahren zu sein, welche Projekte oder Ziele sollen vorangetrieben werden?

In den kommenden fünf Jahren stehen bei uns wichtige Infrastrukturprojekte zur Realisierung an:

  • wir wollen mit dem Breitbandausbau, der Schuldigitalisierung und dem Mobilfunk fertig sein,
  • unsere reaktivierte Zellertalbahn soll wieder den schienengebundenen Lückenschluss zwischen Kaiserslautern und Worms bilden,
  • ein dringend benötigtes weiteres Hallenbad soll in Betrieb sein

Im Tourismus gehen wir neue Wege, mittelfristig sollten wir folgenden Status erreichen:

  • unsere Tourismusorganisation ist zu einer multikommunalen, leistungsfähigen Servicegesellschaft weiter zu entwickeln
  • die aktuellen Hotel- und Gastronomieprojekte werden erfolgreich etabliert sein
  • der Weinbau im Alsenz-, Appel- und Moscheltal erfährt eine Renaissance durch rekultivierte Weinberge, die dem Klimawandel besser begegnen als bereits heute etablierte, sehr warme Standorte
  • Die interkommunale Initiative „Rund um die Alte Welt“ trägt Früchte durch reaktivierte Dörfer, stabile Sozialstrukturen, lebendige Dorfkultur und einen erstarkten Fremdenverkehr in dieser traumhaften Landschaft
  • Die Region um den Donnersberg hat sich als renommierte E-Bike-Wanderregion am Markt etabliert

Die Kreisverwaltung hat sich als flexible, bürgernahe, moderne und familienfreundliche Organisation einen Namen gemacht, unsere Führungs- und Personalentwicklungsstrategien sind beispielgebend

Lieber Herr Guth, Sie sprachen sich kritisch über unser gegenwärtiges Bildungssystem aus. Was wäre Ihrer Meinung nach notwendig, um den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen und eine Jugend hierfür vorzubereiten?

Ich sehe in der Tat mit Sorge, dass immer höhere Quoten eines Jahrganges Abitur machen, die Hochschulen und Ausbildungsbetriebe über leistungsschwächere Schulabgänger klagen und den Handwerks- und Industriebetrieben gut qualifizierte Lehrlinge und Fachkräfte ausgehen. Das Rückgrat unserer Wirtschaft sind Handwerk und Mittelstand und diese sind und waren bisher in den weitesten Teilen seiner Belegschaft nicht akademisch gebildet.

Wir sind als Kreis Träger der weiterführenden Schulen, bei uns im Kreis derer 11 auf 13 Standorten. Ich würde mir wünschen, den Sanierungs- und Unterhaltungsstau auflösen zu können und für eine moderne Ausstattung der Schulen, international benchmarkfähig, sorgen zu können.

Und schließlich erkenne ich eine Ehrenamtskrise, deren Ursache sicher vielfältig ist und gleichzeitig einen besonders ausgeprägten Fachkräftemangel im Bereich der Kranken- und Altenpflege, auch hier gibt es mehrere Ursachen. Eine gemeinsame Ursache ist, dass wir seit über 20 Jahren eine zunächst rückläufige und seit 2011 ausgesetzte Dienstverpflichtung junger Menschen haben. Wo sich heute Heerscharen junger Deutscher auf eine Orientierungs-, work&travel-, Funreise nach Australien, Neuseeland und USA machen, könnte auch wieder eine allgemeine Dienstpflicht für alle Geschlechter treten. So könnten junge Leute bei einem Jahr bei der Feuerwehr, den Rettungsdiensten, im Krankenhaus oder Altenheim, bei den Behörden und Schulen, bei Naturschutzverbänden oder auch bei der Bundeswehr, der Gesellschaft Gutes stiften und gleichzeitig Talente entdecken. Wer über ein Jahr Dankbarkeit aus dem Dienst am Nächsten erfahren hat, bleibt sicher künftig eher ehren- oder hauptamtlich in der Richtung tätig als jemand, der diese Erfahrung nicht machen durfte. Zudem würde ich im Sinne der Völkerverständigung, die der allgegenwärtigen Globalisierung hinterherhinkt, deutlich mehr jungen Menschen als heute, internationale Erfahrung ermöglichen wollen. Darum würde ich es begrüßen, wenn wir 50% dieser Pflichtjahr-Stellen im europäischen Ausland anbieten würden. 

Sehr geehrter Herr Guth, haben Sie Dank für das Gespräch***

Text: Katja Zundel / Köln-InSight.TV
Fotos: Abb. 1. Porträt von Rainer Guth
Abb. 2: Ein „Zukunftsbaum wird gepflanzt (in Steinbach, Oktober 2017 - also kurz nach Amtsantritt von Herrn Guth
Abb. 3: Inspektion der Schulgebäude im März 2018 (Foto. Vor der Realschule Plus in Winnweiler)

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